Bankrotterklärung / Anzeige der totalen Überlastung und Aufforderung zur Verhinderung des völligen Zusammenbruchs des psychiatrisch-psychosozialen Hilfesystems!

Das System der Psychiatrischen Versorgung ist mit der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen noch mehr belastet als zuvor. Wir als Psychosozialer Beirat stellen für die Stadt Darmstadt und den Landkreis Darmstadt-Dieburg sowie überregional fest, dass uns der endgültige Kollaps kurz bevorsteht. Hauptgründe sind zum einen die fehlenden Fachkräfte und zum anderen die völlige und dauerhafte Überlastung der verbliebenen Tätigen, die nach und nach in der Arbeitsunfähigkeit landen oder sich einem anderen Arbeitsfeld zuwenden. Hinzu kommt der seit Corona gestiegene, extrem hohe Aufnahmedruck, über den – zumindest im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie – bereits in den Medien berichtet wird.

Folgende faktische Bestandsaufnahme macht die Situation unmissverständlich klar:

  • Erstgesprächstermine bei niedergelassenen Fachärzt*innen und Psychotherapeut*innen sind kaum noch zeitnah zu erhalten, die Wartezeit für einen Therapieplatz beträgt derzeit ein Jahr und länger.
  • In den Kliniken werden Stationen wegen des fehlenden Personals vorübergehend oder dauerhaft geschlossen. Hingegen erhalten ausländische Fachkräfte in Hessen nur über immense bürokratische und damit kaum zu bewältigende Hürden eine formale Anerkennung, um hier arbeiten zu dürfen. Die Erfahrungen zeigen, dass hier dringend benötigtes Personal weder kurz- noch langfristig akquiriert und gehalten werden kann.
  • Bei dem verbliebenen, zeitlich überforderten Personal steigt die Fehlerquote, erhebliche qualitative Einbußen bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben müssen in Kauf genommen werden, fachliche Standards können nicht mehr gehalten werden. Fachärzte signalisieren einen permanenten Grenzgang hinsichtlich der gesetzlichen Verantwortbarkeit ihres so erzwungenen beruflichen Tuns.
  • Akut psychisch erkrankte sowie chronisch erkrankte Menschen können schon jetzt wegen des zunehmenden Fachkräftemangels weder vom stationären Bereich (Aufnahme in den Kliniken) noch von ambulant tätigen Einrichtungen versorgt werden, auch wenn sich diese Personen in einer akuten Notlage befinden.
  • Gutgemeinte politische Vorgaben und Gesetze wie das Bundeteilhabegesetz (BTHG) erhöhen die berechtigten Ansprüche psychisch beeinträchtigter Menschen an die psychosoziale Versorgung um den Preis eines erheblichen bürokratischen Mehraufwandes und überfordern das schon angeschlagene Gesundheitssystem, ohne die für die Umsetzung notwendigen finanziellen und personellen Voraussetzungen zu berücksichtigen. Es gelingt mittlerweile nicht mehr, dem schon vor der Einführung des BTHG benötigten Unterstützungsbedarf gerecht zu werden und den Betroffenen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung zu stellen, geschweige einen weitergehenden therapeutischen Anspruch zu erfüllen. Beispielsweise können Anschlusshilfen nach Entlassungen aus Krankenhäusern oder Institutionen nicht organisiert werden und Menschen werden in die Obdachlosigkeit entlassen (Verdoppelung der Betroffenen nach Corona in der Stadt Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg auf 300 Personen; Quelle: Darmstädter Echo vom 11.12.2022).
  • Insbesondere verzögern sich formale Verfahren zur Gewährung notwendiger Unterstützungsleistungen wegen des gestiegenen Aufwandes, sodass ein permanenter Krisenmodus bei den betroffenen Hilfesuchenden aufrechterhalten bleibt.
  • Die hohen Zahlen unbesetzter bzw. fehlender Stellen sind die Hauptursache dafür, dass die Angebote in der Eingliederungshilfe nicht mehr gewährleistet und die Bedarfe für Neuaufnahmen im Betreuten Wohnen nicht mehr gedeckt werden können. In den besonderen Wohnformen kommt es zu ersten Schließungen. Mehr als eine Grundversorgung ist an vielen Stellen nicht mehr leistbar. Insbesondere die Aufnahmen von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf wird immer schwerer umsetzbar.

Die geschilderte katastrophale Entwicklung ist kein vorübergehender Zustand, sondern sie ist zum Dauermangelzustand geworden. Automatisch führt eine solche Abwärtsspirale in der Versorgung beim verbliebenen Personal auch zu Entlastungs- und Problemlöseversuchen, die mit Abwehrmechanismen einhergehen. In der Konsequenz wird diese Negativ-Spirale für betroffene Einzelfälle unweigerlich in einer persönlichen Tragödie enden.

Wir fragen:

  • Muss es erst so weit kommen, bis sich die Verantwortlichen der Psychiatrischen Versorgungslandschaft in abhelfender Weise annehmen?

Wir fordern:

  • ein Umdenken, eine substanzielle Analyse des Ressourcenbedarfs, insbesondere ein Beheben des personellen Notstandes zur Verhinderung des völligen Zusammenbruchs! Hierzu müssen alle maßgeblichen Akteure im Gesundheitswesen (u.a. Politik, Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigung, Kliniken und Krankenkassen) an einem Strang ziehen und ihrer Verantwortung gerecht werden.

Zum Psychosozialen Beirat:

Der Psychosoziale Beirat der Wissenschaftsstadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt-Dieburg hat das Ziel, die sozialpsychiatrische und sozialraumorientierte Versorgung in der Stadt Darmstadt und im Landkreis Darmstadt-Dieburg zu fördern und weiterzuentwickeln.

Den Vorsitz des Psychosozialen Beirates führt der/die für das Gesundheitsamt zuständige Vorsitzende des Verwaltungsverbandes. Die Geschäftsführung obliegt der Psychiatriekoordination des Gesundheitsamtes.

Die Leitungsebene folgender Institutionen ist im Beirat vertreten:

  • Agentur für Arbeit
  • Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e.V.
  • Birkenteilerhof
  • Büro für Migration und Inklusion (Landkreis)
  • Caritasverband Darmstadt e. V.
  • Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret, Projekt Anna
  • Deutscher Kinderschutzbund Bezirksverband Darmstadt e. V.
  • Eigenbetrieb Darmstädter Werkstätten und Wohneinrichtungen 3
  • EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung)
  • Gesundheitsamt der Stadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt-Dieburg
  • Insel e.V. (Psychiatrieerfahrene)
  • Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
  • Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Riedstadt
  • Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Agaplesion Elisabethenstift Darmstadt
  • Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum Darmstadt
  • AOK- die Gesundheitskasse in Hessen
  • Landeswohlfahrtsverband Hessen
  • Vertretung der niedergelassenen Nervenärzte
  • Ortsverband Darmstadt der Angehörigen psychisch Kranker e.V.
  • Vertretung Plenum Psychiatrie
  • Psychiatriekoordination (Geschäftsführung)
  • Psychosoziale Dienstleistungen (PSD) Bergstraße gGmbH
  • Vertretung der niedergelassenen Psychotherapeuten
  • REAS GmbH & Co. KG
  • Sozialdezernent/in der Stadt Darmstadt
  • Sozialpsychiatrischer Verein Darmstadt e.V.
  • Sozialverwaltung des Landkreises Darmstadt-Dieburg
  • Sozialverwaltung der Stadt Darmstadt
  • Stiftung Nieder-Ramstädter Diakonie
  • Vitos Heppenheim gGmbH
  • Vitos Riedstadt gGmbH
  • Vorsitz des Verwaltungsverbandes
  • Stellv. Vorsitz des Verwaltungsverbandes
  • Zentrum für Seelische Gesundheit, Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg

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